Kurzbiografie
geboren 1930 in Hergiswil am See
1945 – 1949 Lehre als Steinbildhauer bei Josef von Wyl
1946 – 1950 Kunstgewerbeschule Luzern, Abteilung Bildhauerei
1950 – 1951 Schule für Bildende Kunst Mayen, Deutschland
1952 – 1959 Arbeits- und Weiterbildungsaufenthalte im In- und Ausland
1959 – Übernahme des Bildhauerateliers von Josef von Wyl
ab 1960 Mitglied im Verband Schweizer Bildhauer und Steinmetze VSBS
ab 1955 Grab- und Denkmale sowie Brunnenanlagen
ab 1955 Sakrale Kunst, Innen- und Aussenraumgestaltungen
ab 1955 zahlreiche Studienaufenthalte in Italien und Frankreich
ab 1955 Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum
ab 1974 Freie Kunst, Einzel-und Gruppenausstellungen
gestorben 2011 in Hergiswil am See
Leben und Schaffen
Ernst von Wyl ist fasziniert vom Stein. Er sucht das Material in der Schweiz, sowie in Frankreich und Italien. So findet er den passenden Stein gezielt oder auch mal unverhofft und bearbeitete diesen entsprechend seiner Intuition. Häufig entdeckt er bereits im Charakter des Steins die inhärente Gestalt. Dieser Spur folgend, zeichnet er ein paar Hilfslinien direkt auf den Rohling und bearbeitet diesen bis zur vollendeten Form. So offenbart sich ihm die eigentliche Idee durch Maserung, Farbe und Beschaffenheit des Materials. Seine Arbeit am Stein ist auf notwendige Eingriffe beschränkt. Denn sobald die Form für ihn greifbar wird, weicht die Bearbeitung der fragenden Betrachtung und abschliessenden Figur. Die Optik und Haptik eines Werks bilden in Ernst von Wyl’s Kunstverständnis einen zentralen Aspekt. Er berührt seine Skulpturen, ertastet überprüfend Erhebungen und Einbuchtungen, um über Auge und Hand die Form zu begreifen. Es scheint so, als würde er seine Werke nicht nur mit Werkzeugen, sondern auch mit Händen formen.
Im Stein liegt das Werden
“Ernst von Wyl’s Frauenskulpturen ruhen auch in den bewegtesten Posen.” Ruedi Arnold sagte dies anlässlich einer Vernissage des Werks im Jahr 2000. Tatsächlich eignet nahezu allen weiblichen Kleinskulpturen des Künstlers etwas vollkommen Statisches. Sie ruhen auf ihren Sockeln, und sie ruhen in sich selbst. Meist mit kleinen Köpfen ausgestattet, wirken ihre Körper massiv und schwer gleich sanft gerundeten Hügelformen, die sich zur Erde hin verbreitern. Auch Haare und Gewand verschmelzen oft mit der Figur zu einem kompakten Ganzen, dessen Basis nach unten auseinandergeht. Ebenso die Gruppen: Ob Liebespaar in inniger Umarmung oder als Block Lehrer Frauenfiguren - immer sind die Volumina geschlossen und bilden eine Einheit. Sucht man nach Vorbildern und Einflüssen in Ernst von Wyls Werk, so ist vieles sichtbar, ohne dass ein konkreter Verweis greifbar wäre. Picassos “Baden
de” der klassischen Zeit spielen mit, ebenso wie Skulpturen bestimmter Hochkulturen oder prähistorische Figuren. Brancusis entschiedene Formreduktion zählt dazu und ist in ihrer weiblich konotierten Thematik auch unmittelbar verwandt. “Der Beginn der Welt” (Brancusi, 1969) heisst eine eiförmige Skulptur von ihm: Deutlicher kann der Formverweis auf den Ursprung nicht sein. Germanische Fruchtbarkeitsidole klingen in einer Figur aus Glimmerschiefer (von Wyl, 2003) an, in deren walzenförmigen Gestalt die Arme und Gewandfalten als einfache Ritzungen eingekerbt sind. Moores zu Landschaftsformen abstrahierte “Liegende” gehört zur bioamorphen Skulptur der späten Moderne (Moore, 1996), in der auch Ernst von Wyl Formenwelt einzuordnen ist. Aber es gibt noch eine Nähe, die sich nicht unmittelbar aus der Ähnlichkeit der Formensprache erschliesst und die doch einleuchtet. Es ist das Motiv der Erdung. Betrachtet man Skulpturen aus der altägyptischen Epoche, ist fast immer ein direkter Bezug zum Boden deutlich (vgl. Hermann, 1952). Sie stehen auf grossen Füssen, und oft bilden Beine, Füsse, Sitzmöbel und Gewand eine würfelartige, stabile Einheit. Sie sind “geerdet”. In einem Land, in dem die Fruchtbarkeit des Bodens kultisch gefeiert wurde, war die Verbundenheit mit der Erde Ausdruck des Göttlichen. Auch viele der kleinen Frauenskulpturen von Ernst von Wyl zeigen durch ihre Gestalt, ihre Lagerung, ihr ruhendes Stehen, dass sie mit dem Boden verbunden sind. Es sind Fruchtbarkeitsidole, die das weiblich bestimmte Universum des Künstlers bevölkern.
Becker, M. 2010, Rezeption und Anwandlungen, In: Ernst von Wyl, S. 12/13
ISBN 978-3-033-02701-5